HBV-Präsident Karsten Schmal zum Erntedankfest
Liebe Bäuerinnen und Bauern,
nächsten Sonntag feiern wir Erntedank, ein Fest, das in unseren Familien seit Generationen eine große Bedeutung hat. Besonders in diesem Jahr ist uns wieder bewusst geworden, dass der Erfolg unserer Ernte trotz modernster Technik nicht allein in unserer Hand liegt. Die Landwirtschaft steht derzeit vor vielen Herausforderungen – die Versorgungssicherung ist eine davon. Der Schlüssel dazu ist unsere deutsche und hessische Landwirtschaft. Ganz klar ist jedoch: Alle weiteren Herausforderungen machen dadurch keine Pause – Umweltschutz, Klimaschutz, Tierwohl und Artenvielfalt müssen wir genauso weiter voranbringen.
Extreme Trockenheit während der Getreideernte
Die hohe Sonnenscheindauer mit in großen Teilen zufriedenstellenden Niederschlägen im Frühjahr waren gute Voraussetzungen für das Pflanzenwachstum. Auch das Wachstum der Getreide- und Rapsbestände im drittsonnigsten Frühling seit 1951 ließ auf ein gutes Erntejahr hoffen. Von Wetterextremen wie Hagel oder Starkregen blieb Hessen zum Glück verschont.
Nachdem die hessischen Bäuerinnen und Bauern mit der Niederschlagsmenge- und Verteilung im Frühjahr zufrieden sein konnten, fehlten in den darauffolgenden Sommermonaten dringend Anschlussniederschläge.
Nach Ergebnissen des Hessischen Statistischen Landesamtes wurden in diesem Jahr in Hessen 2,0 Mio. Tonnen Getreide und 192 300 t Winterraps geerntet. Das waren zusammen 238 300 t mehr als im Vorjahr und 90 800 t mehr als im 6-jährigen Durchschnitt.
Die Erträge bei der Wintergerste waren dieses Jahr trotz gesunkener Anbaufläche überraschend hoch: Es wurden 76,3 dt/ha gedroschen – das sind im Durchschnitt 10,9 dt/ha mehr als in den letzten 6 Jahren pro Hektar eingefahren wurden.
Auch beim Winterraps wurden größere Mengen eingefahren als vorher angenommen. Laut Statistischem Landesamt wurden durchschnittlich 41,9 dt/ha geerntet, in den Vorjahren waren es im Vergleich nur ca. 34,7 dt/ha.
Mit 77,9 dt/ha war die Winterweizenernte etwas besser als im Vorjahr, wo es nur 70,4 dt/ha waren. Hier gab es durch die heißen Tage im Juni und Juli regional große Unterschiede bei Ertrag und Qualität, je nachdem, wieviel Niederschlag in der kritischen Phase der Kornfüllung gefallen war.
Die Grünlanderträge, sowohl bei Silage und Heu, ließen in diesem Jahr zu wünschen übrig und die Weidesaison musste in weiten Teilen Hessens viel zu früh beendet werden. Nach einem vielversprechenden ersten Schnitt fielen der zweite und dritte Schnitt zum Teil komplett aus, da die Wiesen in der Hitze verdorrt sind. Ein großes Problem für unsere Tierhalter, da sie ihre Futterreserven für den Winter durch das zeitige Ende der Weidesaison früher als geplant anbrechen mussten. Bei Zuckerrüben und Kartoffeln gehen erste Ernteschätzungen von einer eher unterdurchschnittlichen Ernte aus. Durch die fehlenden Niederschläge im Juli und August, der extremen Trockenheit und der Hitze haben die Bestände stark gelitten. Die erhoffte Ertragsentwicklung bei den Zuckerrüben durch das Wachstum der Rübenkörper blieb aus. Ganz im Gegensatz zu den Erträgen zeigte sich die Auswirkung der heißen Tage auf die Entwicklung der Zuckergehalte – diese sind in diesem Jahr überdurchschnittlich hoch.
Trotz idealer Witterungsbedingungen für Spargel und Erdbeeren wurden die Sonderkulturbetriebe ihre Produkte nur schwer los – durch die insgesamt gestiegenen Kosten reagierten Verbraucherinnen und Verbraucher zurückhaltend.
Große Sorge um die Tierhaltung in Hessen
Um die Tierhaltung in Hessen mache ich mir große Sorgen. Leider ist die Zahl der Rinder und Schweine in unserem Bundesland inzwischen dramatisch gesunken. Die Tierhalter benötigen endlich stabile politische Rahmenbedingungen, um Planungssicherheit für die Zukunft zu haben. Bauernfamilien müssen über die Nutztierhaltung ein ausreichendes Einkommen erwirtschaften können. Das ist wegen zunehmender Anforderungen und gesetzlicher Reglementierungen immer schwieriger geworden. Entscheidend ist ein langfristiges Finanzierungskonzept, eine verpflichtende Kennzeichnungsregelung und die Beseitigung der bau- und genehmigungsrechtlichen Hemmnisse für den Um- und Neubau von Stallanlagen. Der Vorschlag von Bundesminister Özdemir zur Tierhaltungskennzeichnung ist ein wichtiger erster Schritt, die Lücken in dem Konzept müssen jedoch noch geschlossen und ein verbindliches Finanzierungskonzept geschaffen werden.
In Hessen produzieren unsere Bauernfamilien eine große Vielfalt von nachhaltig, umwelt- und ressourcenschonend erzeugten Agrarprodukten. Explodierende Betriebsmittelpreise – insbesondere für Stickstoffdünger, Energie, Diesel, Futtermittel und Logistik – machen uns das Wirtschaften dabei zurzeit schwer. Hier sind Lebensmitteleinzelhandel, Schlachtunternehmen, Verarbeiter, Großverbraucher und Politik gleichermaßen gefordert, die heimische Erzeugung durch eine entsprechende Einkaufs- und Preispolitik zu stärken.
Klimawandel: Landwirtschaft als Teil der Lösung
Die im letzten Jahr in Wiesbaden unterzeichnete Kooperationsvereinbarung „Landwirtschaft und Naturschutz in Hessen 2021“ ist weiterhin wegweisend. Intensive Gespräche und Verhandlungen des „Runden Tisches Insekten- und Gewässerschutz“ gingen voraus.
Dass die größte Herausforderung jetzt und in der Zukunft der Klimawandel ist, konnte diesen Sommer jeder spüren. Wir Landwirte sind unmittelbar betroffen, denn unsere Werkstatt ist draußen, wir wirtschaften unter freiem Himmel. Die Landwirtschaft ist Opfer des Klimawandels, gleichzeitig aber auch Mitverursacher und Teil der Lösung. Auch hier bieten wir mit neuen Technologien in der Tierhaltung und im Ackerbau Lösungen an, die eine effizientere, umweltschonendere und tiergerechtere Landwirtschaft ermöglichen. Acker- und Grünlandflächen sind einerseits in der Lage, Wasser aufzunehmen und zu speichern, andererseits binden sie Kohlenstoff und reduzieren somit den Ausstoß von Treibhausgasen. Deshalb muss die Versiegelung landwirtschaftlicher Flächen minimiert werden.
Qualitativ hochwertige heimische Produkte
Wir Landwirte sind bereit uns den gesellschaftlichen Anforderungen zu stellen und Veränderungen aktiv mitzugestalten. Nach wie vor sehen wir unsere Hauptaufgabe darin, regionale und internationale Märkte mit qualitativ hochwertigen Lebensmitteln zu versorgen.
Wir Bäuerinnen und Bauern gehen stets verantwortungsvoll und behutsam mit unserer Natur, dem Boden, dem Wasser, der Luft und unseren Tieren um. Mit einer von bäuerlichen Familienbetrieben getragenen produktiven und wettbewerbsfähigen Landwirtschaft können wir die Ernährung unserer Bevölkerung nachhaltig sichern und zugleich Klimaschutz sowie Artenvielfalt fördern. Denn wir dürfen nicht vergessen, dass unsere Landwirtschaft die Grundlage unserer Gesellschaft ist – um sie zu erhalten, brauchen wir eine Politik mit Augenmaß, die Zukunftsperspektiven eröffnet, verlässliche Rahmenbedingungen schafft und Planungssicherheit gewährleistet.
Ihr Karsten Schmal