„Wir sehen einen dramatischen Strukturbruch mit stark abnehmenden Betriebszahlen. Gerade tierische Produkte, wie Schweinefleisch und Milch, werden weit unter Kostendeckung produziert.“ Diese ernüchternde Feststellung traf Dr. Willi Billau, Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Landwirtschaftliche Woche Südhessen und des Regionalbauernverbandes Starkenburg, in seiner Begrüßung zur Eröffnung der Landwirtschaftlichen Woche Südhessen, die wie schon im Vorjahr erneut im Online-Format stattfand. Ausgelöst durch Corona entstünden Situationen, die es dem Betriebsleiterehepaar unmöglich machten, Zukunftsinvestitionen zu tätigen. Eine Verdreifachung der Stickstoffdüngemittelpreise sowie hohe Energie- und Futtermittelkosten kämen erschwerend hinzu. Der Mindestlohn werde um 22 Prozent auf 12 Euro je Arbeitsstunde steigen. „Wie sollen wir die damit verbundenen Kosten weitergeben, wenn Ware aus dem Ausland, die für Stundenlöhne von 2 bis 4,50 Euro produziert wurde, angeboten wird“, fragte Billau. Er wiederholte seine Forderung nach einer Spannengerechtigkeit in der Preisgestaltung zwischen Erzeuger, Verarbeiter und Handel.
Dr. Billau kritisierte besonders die geplante Reduzierung des Einsatzes von Pflanzenschutzmitteln um 30 Prozent und wies darauf hin, dass bei deutschen Lebensmitteln 2019 nur bei etwa einem Prozent der Proben Rückstandshöchstwertüberschreitungen festgestellt wurden. Bei Lebensmitteln aus Nicht-EU-Staaten lag die Überschreitung dagegen bei 6,5 Prozent. Der enorme Flächenverbrauch durch Großprojekte, wie die Erweiterung der Autobahn A67 und der Neubau der ICE-Strecke Frankfurt-Mannheim bereiten dem Vorsitzenden des Regionalbauernverbandes Starkenburg große Sorgen. Diese beiden Projekte verlangten alleine Ausgleichsflächen in einer Größenordnung von rund 2.000 Hektar. Bevor immer wieder neue Ackerflächen für Infrastrukturmaßnahmen in Anspruch genommen werden, fordert der Regionalbauernverband die Beseitigung von Leerständen, sparsamen Umgang mit landwirtschaftlich genutzten Grundstücken und ein Ausgleich durch Waldumbau.
Schönen Worten müssen Taten folgen
„Mit schönen Worten und Ankündigungen alleine ist es nicht getan – jetzt müssen Taten folgen“, das sagte der Präsident des Hessischen Bauernverbandes, Karsten Schmal, in seiner Ansprache zur heutigen Eröffnung der Landwirtschaftlichen Woche Südhessen in Bezug auf die Ankündigungen des neuen Bundeslandwirtschaftsministers, Cem Özdemir, die wirtschaftlichen Perspektiven der Betriebe verbessern zu wollen und die Transformation gemeinsam mit den Landwirten zu gestalten. Der neue Bundeslandwirtschaftsminister wolle sich an den Ergebnissen der Zukunftskommission Landwirtschaft und den Vorschlägen der Borchert-Kommission orientieren. Das sei positiv zu werten. Kritik übte Schmal an der neuen Bundesumweltministerin Steffi Lemke, die angekündigt habe, den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln deutlich zu senken, und zwar durch finanzielle Anreize, aber auch Ordnungsrecht. „Aber was nützen uns finanzielle Anreize, wenn Schädlinge oder Pflanzenkrankheiten überhand nehmen und dadurch hohe Ertrags- und Qualitätsverluste auftreten“, so Schmal.
In den Bereichen Umwelt-, Klima- und Tierschutz werde die neue Bundesregierung den Bäuerinnen und Bauern viel abverlangen. „Bei allen Diskussionen um mehr Umwelt- und Klimaschutz kommt mir die Ernährungssicherung viel zu kurz. Aufgrund unserer vergleichsweise guten Produktionsbedingungen wollen wir sowohl regionale als auch internationale Märkte mit unseren hochwertigen Agrarprodukten versorgen“, hob Schmal hervor. Deshalb sei auch die vom Bundeskabinett kürzlich beschlossene Erhöhung des Mindestlohns auf 12 Euro je Stunde ab 1. Oktober völlig inakzeptabel. Insbesondere Sonderkulturbetriebe, die auf Saisonarbeitskräfte angewiesen seien, würden dadurch sehr belastet. Die Wettbewerbsfähigkeit unserer Landwirtschaft leide generell darunter.
Immer höhere Auflagen und Reglementierungen hätten dazu geführt, dass die Zahl der Rinder und Schweine hierzulande in den letzten Jahren massiv gesunken sei. Das Gleiche gelte für die Zahl der Halter. In Hessen lägen die Rückgänge im Schweinesektor deutlich über dem Bundesdurchschnitt. Diese Entwicklung sei besorgniserregend. Explodierende Betriebsmittelpreise für zum Beispiel Stickstoffdünger, Energie und Futtermittel, machten den Bauernfamilien das Wirtschaften schwer, auch wenn in einigen Bereichen die Erzeugerpreise angestiegen seien. Schweinehalter befänden sich schon seit Monaten in einer durch ruinöse Erzeugerpreise verursachten existenziellen Krise. Viele stünden mit dem Rücken zur Wand und wüssten nicht, wie es weitergehen solle.
Die Vorschläge der Borchert-Kommission müssten schnell umgesetzt werden. Unabdingbare Voraussetzung sei allerdings, dass auch die Vorschläge zur Finanzierung mit umgesetzt würden. Ansonsten werde das Ganze nicht funktionieren. In diesem Zusammenhang seien natürlich auch die Verarbeitungsunternehmen und der Lebensmitteleinzelhandel und nicht zuletzt die Verbraucher gefordert. Namhafte Unternehmen des Lebensmitteleinzelhandels hätten sich mittlerweile zur 5D-Regel
bekannt. Das sei ein Lichtblick. Am Ende werde es aber ganz entscheidend darauf ankommen, dass mehr Geld auf den Höfen ankommt. Das Gleiche gelte für das Vorhaben der LEH-Ketten, sukzessive auf Fleisch und Trinkmilch aus den Haltungsformstufen 3 und 4 umzustellen. Hierbei seien ange-messene Übergangsfristen notwendig. Außerdem sei eine verpflichtende Haltungs- und Herkunftskennzeichnung sehr wichtig. „Der von Gesellschaft und Politik gewünschte Umbau der Tierhaltung ist ebenso wie der Umwelt- und Klimaschutz eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Alle Beteiligten sind gefordert“, betonte Schmal.
„Die Strategie 2030 der deutschen Milchwirtschaft ist auf einem guten Weg. Die angestrebte Auslobung des Systems QM-Milch ermöglicht unseren Milcherzeugern eine höhere Wertschöpfung“, so Schmal. Der Erfolg werde davon abhängen, ob es gelingt, eine hohe und langfristige Marktdurchdringung zu erreichen. Im Rahmen der Branchenkommunikation „Initiative Milch“, die im zweiten Halbjahr 2021 an den Start ging, müsse das ernährungsphysiologisch hochwertige und gesunde Lebensmittel Milch stärker ins Bewusstsein der Verbraucher gerückt werden.
Ausweisung Roter Gebiete in der Kritik
Zur hessischen Agrarpolitik merkte Schmal an, dass der Berufsstand mit der Ausweisung der Roten Gebiete nach wie vor nicht einverstanden sei. Die Auswahl der Messstellen und der Umfang der Gebiete sei vielfach nicht nachvollziehbar.„Beim Thema Wolf werden in Hessen falsche Schwerpunkte gesetzt. Der Schutz des Wolfes hat einen weitaus höheren Stellenwert als der unserer Weidetiere. Genau umgekehrt müsste es sein“, betonte Schmal. Er lobte dagegen die gemeinsam mit der hessischen Landesregierung und Naturschutzverbänden im September letzten Jahres auf den Weg gebrachte Kooperationsvereinbarung „Landwirtschaft und Naturschutz in Hessen 2021“. Sie setze auf Kooperation, Freiwilligkeit und Honorierung der von hessischen Landwirtinnen und Landwirten erbrachten Leistungen. Jetzt komme es auf eine zielorientierte und praktikable Umsetzung an.
Hessens Landwirtschaftsministerin Priska Hinz ging in ihrer Videobotschaft zunächst auf die Kritik der EU-Kommission an der Ausweisung der Roten Gebiete in Deutschland ein. Bund und Länder seien nun gefordert, Lösungen vorzulegen, die die Kommission akzeptiere. Auch für Hessen kündigte sie Änderungen an. Die neue Bundesregierung mit einem grün geführten Landwirtschafts- und Umweltministerium werde der Agrar- und Umweltpolitik Rückenwind verleihen. „Wir haben in Hessen Einiges auf den Weg gebracht“, so Ministerin Hinz. Ebenso wie Präsident Schmal nannte sie die im September letzten Jahres geschlossene „Kooperationsvereinbarung Landwirtschaft und Naturschutz in Hessen“, mit der Konfliktfelder überwunden und kooperative Ansätze unterstützt würden. Des Weiteren nannte sie das Projekt „100 nachhaltige Bauernhöfe“. Die teilnehmenden Betriebe aus den Bereichen Tierhaltung, Ackerbau, Öko- und konventioneller Landwirtschaft hätten eine Vorbildwirkung für andere Unternehmen. Außerdem verwies die Ministerin auf den erfolgreichen Ausbau des Ökolandbaus mit dem Hinweis, dass Hessen seit 2020 Ökomodellland und damit Vorreiter in Deutschland sei. Die rechtlichen Voraussetzungen für die künftige GAP 2023 seien getroffen und der nationale Strategieplan könne jetzt eingereicht werden.
Den Transformationsprozess aktiv begleiten
„Ohne ökonomische Grundlage haben unsere Betriebe keine Zukunft“. Diese Feststellung traf der Präsident des Deutschen Bauernverbandes, Joachim Rukwied, zu Beginn seines engagierten Vortrags zum Thema „Landwirtschaft in der Transformation“. Es sei wichtig, dass der neue Bundeslandwirtschaftsminister, Cem Özdemir, sich an den Ergebnissen der Zukunftskommission Landwirtschaft und den Vorschlägen der Borchert-Kommission orientieren wolle. Denn der Koalitionsvertrag sei relativ vage. Die neue Bundesumweltministerin, Steffi Lemke, setze sehr stark auf Ordnungsrecht. „Das ist nicht unser Ansatz, sondern Kooperation. Maßnahmen im Umwelt- und Naturschutz müssen sich für Landwirte auch ökonomisch rechnen.
„Die Landwirtschaft ist einem Transformationsprozess ausgesetzt, den wir aktiv begleiten müssen, damit möglichst viele Höfe erhalten bleiben“, betonte Rukwied. Die junge Generation brauche Signale, um die Betriebe weiterentwickeln zu können. Für den Umbau der Tierhaltung entsprechend den Vorschlägen der Borchert-Kommission sei jährlich frisches Geld im Umfang von vier Milliarden Euro erforderlich. Die Vorschläge der Bundesregierung bei den Eco-Schemes im Rahmen der künftigen Gemeinsamen Europäischen Agrarpolitik bezeichnete Rukwied als enttäuschend. Für eine fünfgliedrige Fruchtfolge lediglich 30 Euro pro Hektar anzubieten, sei ein Armutszeugnis. Da müsse dringend nachgebessert werden. Die durch die Umsetzung des European Green Deal und die Farm-to-Fork-Strategie verursachten Produktionsrückgänge müssten unbedingt einer Folgenabschätzung unterzogen werden. „Dass sich die EU-Kommission dagegen wehrt, ist eine Frechheit“, so Rukwied. Damit verbundene erhebliche wirtschaftliche Nachteile für die Landwirtschaft könnten nicht hingenommen werden. Durch die Digitalisierung und neue Züchtungsverfahren, wie CRISPR-Cas, könne es gelingen, den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln zu reduzieren. Keinesfalls dürfe es einen deutschen Sonderweg geben.
Beim Thema „Mindestlohn“ sieht Präsident Rukwied keine Möglichkeit, die geplante Erhöhung auf 12 Euro je Stunde „wegzuverhandeln“. Man dringe auf eine Verschiebung und den Erhalt der kurzfristigen Beschäftigung für Saisonarbeitskräfte. Der Bauernverband setze alles daran, den Anteil der Landwirtschaft innerhalb der Wertschöpfungskette zu erhöhen. „Wir werden um jeden Cent und halben Cent kämpfen müssen und dazu die eingerichtete Plattform Zentrale Koordination Handel-Landwirtschaft nutzen“, so Rukwied. Er wies darauf hin, dass die deutsche Landwirtschaft auch den Export benötige. In internationalen Handelsabkommen müssten Nachhaltigkeitskriterien vereinbart werden, damit unter unseren Standards produzierte Waren nicht importiert werden dürften. Beim Klimaschutz wolle die Landwirtschaft aktiv ihren Beitrag leisten. Das müsse auch honoriert werden. Die von den Bauernfamilien gewährleistete Sicherung der Ernährung basierend auf der heimischen Produktion bezeichnete Rukwied als ein sehr hohes Gut. Sie sorge per se für Stabilität. Er empfahl den Bäuerinnen und Bauern, die künftigen Herausforderungen mit Realismus, Mut und Optimismus anzugehen.